Positionspapier der ÖGSU zur Erarbeitung von neuen Curricula in der Primarstufe

Die Ausbildung von Primarstufenlehrpersonen im Sachunterricht hat zum Ziel, angehende Lehrpersonen für ihre Tätigkeit im Sachunterricht zu qualifizieren. Hierfür ist es aus unserer Sicht zwingend notwendig, auf sachunterrichtsdidaktische Forschungsdiskurse und Forschungserkenntnisse zurückzugreifen.

Die folgenden Zielformulierungen – in Form von vier Qualifikationsbereichen strukturiert – tragen dem Umstand Rechnung, dass in Österreich eine Generalist:innenausbildung in der Primarstufe umgesetzt wird. Diese entsprechen den von der Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts (GDSU) formulierten Qualifikationsbereichen des Studienfaches[1].

Sachunterricht

Die Ausbildung von Primarstufenlehrpersonen muss einen Ansatz verfolgen, der nicht nur fachliche Kompetenzen im Sachunterricht, sondern auch pädagogische, didaktische und methodische perspektivenbezogene und vernetzende Kenntnisse und Fähigkeiten umfasst, wobei bei allem die Beziehung Kind-Sache zentral ist. Die Pädagogischen Hochschulen sind gefordert, zukünftige Lehrpersonen darauf vorzubereiten, den Herausforderungen einer sich ständig wandelnden Gesellschaft, die von Diversität geprägt ist, begegnen zu können. Dies beinhaltet die Bereitstellung von Ressourcen für die professionelle Entwicklung und die Schaffung von Rahmenbedingungen, die eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit und Reflexion über den eigenen Unterricht ermöglichen. Indem die Ausbildung diese Kernprinzipien integriert, kann sichergestellt werden, dass die zukünftigen Generationen von Primarstufenlehrpersonen in der Lage sind, einen Unterricht zu gestalten, der nicht nur informativ und bildend ist, sondern auch die Schüler:innen auf persönlicher Ebene erreicht und für ihre Entwicklung in einer sich wandelnden Welt von größter Bedeutung ist.

Qualifikationsbereich Sachunterricht und seine Didaktik als Wissenschaftsdisziplin

Der Sachunterricht stellt sich als vielperspektivisch konzipiertes Grundschulfach dar, das einerseits die kindliche Weltwahrnehmung aufgreift, die Welterschließung unterstützt und fördert, andererseits auch fachpropädeutische Übergänge ermöglichen soll. Zukünftige Lehrer:innen für Sachunterricht sind in allen Ausbildungsphasen dabei zu unterstützen, Haltungen und Einstellungen zum Sachunterricht zu entwickeln und zu reflektieren.

Vor dem Hintergrund theoretischer Ansätze zur Lehrer:innenprofessionalität ist somit die Ausdifferenzierung von Wissenskomponenten (pädagogisches, fachliches und sachunterrichtsdidaktisches Wissen) und damit verbundener Kompetenzen zu fokussieren, die (zukünftige) Sachunterrichtslehrer:innen besitzen sollten, um lernwirksame Lehr-Lernsettings entwickeln und umsetzen zu können.

Zum Fachverständnis des Sachunterrichts und seiner Didaktik braucht es eine Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Forschungs- und Theoriebeständen des Faches. Gleichzeitig stellt die Beschäftigung mit der Genese des Faches im Kontext der Unterrichtsentwicklung die Basis für das Selbstverständnis der Fachdidaktik dar.Einblicke in aktuelle Forschungsinhalte und forschungsmethodische Zugänge der wissenschaftlichen Disziplin des Sachunterrichts und seiner Didaktik bilden die Grundlage dafür, aktuelle Forschungsergebnisse in den eigenen Sachunterricht einfließen zu lassen. Dabei ist es zentral, vorausgehende Bildungsgänge zu berücksichtigen und fachliche Konzepte in ihrer Anschlussfähigkeit an nachfolgende Bildungsgänge aufzubauen.

Qualifikationsbereich Kind – Sache; Sache – Kind

Im Sachunterricht steht die Orientierung und Welterschließung der Kinder in einer sich ständig verändernden Welt im Zentrum. Dieser Prozess findet in einem Spannungsverhältnis zwischen den Vorstellungen und Erschließungsweisen der Welt von Kindern und der fachlichen Konzepte sowie deren Erkenntnismethoden statt. Die Diversität der Kinder mit ihren individuellen Zugängen, Geschlechtern, Identitäten, Vorstellungen, Bedürfnissen, Interessen, Lebenssituationen, kulturellen, sprachlichen und sozio-ökonomischen Hintergründen findet Eingang in die Planung und Gestaltung des Unterrichts. 

Die Auseinandersetzung mit den Sachen wird durch die Verwendung von fachlichen Begriffen erleichtert. Eine fachliche Erschließungsweise ermöglicht ein einfacheres Verständnis eben dieser. Die Erfahrung, dass der Rückgriff auf das Fach nützlich sein kann, ist ein wesentliches Ziel des Sachunterrichts.

Wenn Sachunterricht Kinder zur aktiven Mitgestaltung von Welt und Gesellschaft sowie zur Reflexion der eigenen Einstellungen und des eigenen Handelns anregen soll, dann muss dieser auch partizipativ mit den Kindern, ausgehend von ihren Interessen, Fragen und Vorstellungen, entwickelt werden. Dazu brauchen Lehrpersonen die Zeit und die Freiheit, um offene Situationen zuzulassen, Lern(um)wege der Kinder zu würdigen und mit beidem konstruktiv umzugehen.

Qualifikationsbereich Perspektivität

Die Wissenschaftsdisziplin des Sachunterrichts und seiner Didaktik verständigt sich auf den Begriff der Perspektiven. Folglich wird im Nachstehenden an dieser Begrifflichkeit festgehalten. Wie einleitend bereits erwähnt, erfolgt in Österreich die Lehrer:innenausbildung der Primarstufe als eine Generalist:innenausbildung. Es kann nicht Ziel sein, dieselben Anforderungen an das perspektivenbezogene Fachwissen der Lehrpersonen zu stellen, welches jenem der Sekundarstufe gleichkommt. Um dennoch in der Primarstufe der Vielfalt und dem Fachwissen der Bezugsfächer des Sachunterrichts (Sozialwissenschaften, Biologie, Physik, Technikwissenschaft, Chemie, Geschichte, Politikwissenschaft, Geographie, Wirtschaftswissenschaft) gerecht werden zu können, bedarf es auch hier einer perspektivenspezifischen Grundlage. Jene umfasst grundlegende Fachwissensbestände und Methodenkenntnisse innerhalb einer Perspektive.

Daraus ergeben sich bedeutende Implikationen für die Ausbildung von Lehrpersonen im Sachunterricht. Diese müssen nicht nur in der Lage sein, vielschichtige Perspektiven in der Planung, Durchführung und Reflexion ihres Unterrichts zu berücksichtigen, sondern auch ihr perspektivenspezifisches Fachwissen kontinuierlich zu erweitern und zu vertiefen. Dazu gehört die Fähigkeit, relevante Fachliteratur zu recherchieren und zu nutzen, um ihr Fachverständnis zu aktualisieren und etwaige Wissenslücken zu schließen.

Einen starken Fokus ist auf die Entwicklung von Kompetenzen zu legen, die es den Lehrpersonen ermöglichen, perspektivenspezifisches Fachwissen als ein zentrales Werkzeug zur Elementarisierung komplexer Sachverhalte zu nutzen. Dies ist entscheidend, um die wesentlichen Zusammenhänge in der Erklärung der Sachverhalte herauszuarbeiten und Inhalte im Sinne der Lernunterstützung der Schüler:innen zu strukturieren. 

Angehende Lehrpersonen sollen daher nicht nur mit einem breiten Spektrum an perspektivenbezogenen Lehrmethoden vertraut gemacht werden, sondern auch lernen, diese Methoden flexibel und situationsgerecht einzusetzen, um den Unterricht an die Bedürfnisse und die Lebenswelt der Kinder anzupassen.

Qualifikationsbereich Perspektivenvernetzung

Der Sachunterricht geht von komplexen Problemlagen aus, die nur in der Zusammenschau mehrerer Perspektiven erfasst und verstanden werden können. Die Betrachtung aus einer einzelnen fachlichen Perspektive bzw. aus einer einzelnen fachlichen Systematik wird dieser Komplexität nicht gerecht. Dennoch bedarf es perspektivenspezifischer Grundlagen, um perspektivenvernetzend arbeiten zu können. Zudem begegnen Kinder Phänomenen der Welt nicht aus einem einzelnen fachlichen, sondern einem fachungebundenen Blickwinkel.

Welterschließung erfolgt durch den Aufbau einer vernetzten Ordnung. Der Sachunterricht bietet verschiedene Möglichkeiten der Vernetzung. Diese kann innerhalb einer Perspektive, perspektivenübergreifend bzw. über den Sachunterricht hinaus (fächerübergreifend) erfolgen. Die verschiedenen Vernetzungsarten sollen im Rahmen der Lehramtsausbildung erfahren werden. Darüber hinaus gibt es noch eine weitere Perspektive der Vernetzung im Sinn der individuellen, mentalen Vernetzungen der Perspektiven beim Kind. Die Lehrperson muss in der Lage sein, diesen Vernetzungsprozess mittels Scaffolding zu begleiten und das Kind zu unterstützen, sich die Welt zu erschließen. Angehende Lehrpersonen müssen Gelegenheiten geboten werden, unterschiedlichste Ordnungsnetze zu erleben.


[1] Becher, A., Blaseio, B., Dunker, N., Gläser, E., Otten, M., Pech, D., et al. (2019). Qualitätsrahmen Lehrerbildung Sachunterricht und seine Didaktik. GDSU e.V.